Gedanken nach der Prozessbeobachtung
Gestern geschah das tödliche Unglück im Hambacher Wald, das viele von uns erschüttert hat. Ein Mensch, gestorben in der Auseinandersetzung um die Kohle.
Unsere Gedanken weilen bei allen, die heute um ihn trauern.
Es ist selten, dass sich die Gefährdung von Menschenleben durch die Kohleindustrie so direkt zeigt. Zumeist ist diese Gefährdung schleichend, nicht direkt auf eine bestimmte Quelle zurückzuführen. Bei jedem einzelnen Kraftwerk sind es hunderte und tausende, deren Leben vorzeitig durch Feinstaub, Stickoxide oder Quecksilber beendet oder stark beeinträchtigt wird. Schlimmer noch sind die Auswirkungen der Klimakrise: die Toten, die Vertriebenen, die zerstörten Lebensgrundlagen. All diese Folgen des Klimakillers Kohle sind am stärksten anderswo und in der Zukunft zu sehen. Es ist und bleibt klar: Die Kohle tötet.
Das Problem: Das aktuelle Rechtssystem schützt nicht vor diesen Gefahren. Es versagt, wenn RWE uns alle mit seinen Kohlemeilern gefährdet. Denn dies findet keine Berücksichtigung in Güterabwägungen vor Gericht, das sei ja „politisch“. Das „Recht auf Eigentum“ bricht so das Recht auf Leben, wenn die Gefährdung nur indirekt genug ist. Ich bin sicher nicht die einzige Person, die hier das Gefühl gewinnt: dieses Rechtssystem beschränkt und bestraft die Falschen.
Es ist mittlerweile gut ein Jahr vergangen, dass rund 150 Menschen die Zufahrten des Braunkohlekraftwerks Neurath blockiert haben. Eine Tat des Gewissens: mit einer angekündigten Aktion des Zivilen Ungehorsams sollte das Kraftwerk Neurath als das zweitklimaschädlichste Braunkohlekraftwerk Europas gestört werden. Anderthalb Tage haben sich die Aktivist*innen auf die Aktion vorbereitet und gewaltfreie Deeskalation trainiert. Nach sechs Stunden mit mehreren Blockaden auf den Straßen rund um das Kraftwerk am Ende dann ein voller Erfolg.
Heute, am 20. September 2018, finden sich zwei der damals aktiven Menschen vor Gericht wieder. Einige Monate zuvor hatten sie einen Bußgeldbescheid zugestellt bekommen: 228,50€ für den Vorwurf, sich nicht von der als Versammlung aufgelösten Sitzblockade entfernt zu haben. Doch so leicht ließen sie sich darauf nicht ein. Sie legten Einspruch ein, forderten die Einstellung ihres Verfahrens wegen mangelndem öffentlichen Verfolgungsinteresse. Ein anderes Kohle erSetzen – Verfahren am Amtsgericht Aachen wurde in diesem Sinne Mitte Juli auch eingestellt. Bei diesen beiden und etwa einem Dutzend weiterer Aktivist*innen geht es allerdings noch weiter. Als der Prozesstermin feststeht, bereiten sich die Ersten schließlich gemeinsam in einem Prozesstraining auf die Verhandlung vor.
Nach einer Mahnwache vor dem Amtsgericht Grevenbroich startet dann heute, kurz vor Mittag, die erste Verhandlung. Die beiden Beschuldigten stehen klar hinter allem, was sie getan haben, stellen ihr Gewissen in den Vordergrund. Falko Berkemeier spricht immer wieder davon, wie sehr der Staat hier seine Pflichten nach dem Grundgesetz, aber auch seine moralischen Pflichten verletzt. Dass er sich fühlt, als müsse er hier korrigierend eingreifen, Stolperstein sein. Später legt Josef Berghold dar, dass er eine brennende Sorge verspürt, dass sich die Gesellschaft selbst ihrer eigenen Grundlage beraubt und damit ihre Zukunftsfähigkeit verliert. Feurige Einlassungen und Schlussworte geben dem Prozess einen politischen Rahmen.
Die Richterin Spätgens-Oles nimmt die politische Argumentation durchaus an, bleibt aber in der Sache kalt: der Eingriff in die Bewegungsfreiheit von Dritten sei höher zu werten als das Recht auf freie Versammlung. Die damalige Auflösung der Versammlung sei damit rechtens gewesen. Dabei bestanden während der Aktion für alle Menschen, die nicht genau zum Kraftwerk wollten, einfache Umfahrungsmöglichkeiten.
Die Abwägung all der Gefährdungen für Leib und Leben, die mit weiterem Abbau und der Verstromung von Braunkohle einhergehen, lässt das Gericht bei der Urteilsfindung völlig außen vor. Die Beschuldigten brachten an, dass die Klimakrise und die gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Kraftwerke eine gegenwärtige Gefahr darstellen, einen Notstand, welcher ihre Ordnungswidrigkeit rechtfertigt – erfolglos.
Die Richterin berichtet, sie hätte lange nachgedacht, ob sie die Verfahren einstellen sollte. Aus Gründen der politischen Unparteilichkeit des Gerichts (sic!) habe sie sich aber letztlich dagegen entschieden. So steht dann schlussendlich das Urteil: vorsätzlicher Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Das Bußgeld wird von den ursprünglichen 200 € auf die Hälfte reduziert: 100 € jeweils für beide der Beschuldigten. Dazu kommen noch vermutlich zweistellige Gerichtskosten.
Am Ende bleibt das Gefühl, dass Recht nur das Recht für manche ist. Strukturelle Gefährdungen werden eben auch und gerade in den Gerichten unbeachtet gelassen. Sicher, sie sind schwieriger zu greifen, schwieriger nachzuweisen – aber sollten wir deswegen die Kohlekonzerne einfach weiter zerstören lassen, wie es ihnen gefällt? Wohl kaum. Einerseits werden wir daher unseren Widerstand mit anderen Verteidigungsstrategien vor Gericht in den nächsten Prozessen weitertragen. Aber auch außerhalb, auf allen Wegen müssen wir unseren Widerstand so laut, so unüberhörbar machen, dass politisch kein Weg an der Zerschlagung der fossilen Industrie mehr vorbei führt.
Dafür gibt es im Moment vor Allem einen Ort: Kommt in den Hambacher Wald. Ob in die Baumhäuser oder darunter, zur Waldspaziergangs-Demo jeden Sonntag, dem Camp in Manheim östlich des Waldes oder der Großdemo am 6. Oktober, bis Ende Gelände vom 25. bis 28. Oktober schließlich wieder die Kohleindustrie mit Massenaktionen lahmlegt: Es braucht jetzt unser aller Stimmen, unser aller Körper, die sich dem Unrecht der Kohleindustrie und unserer klimaschädlichen Lebens- und Wirtschaftsweise entgegensetzen. Kommt und gestaltet selbst die Welt in ihrem Wandel!
#kohleersetzen!
#HambiBleibt!
#EndCoal!
Seid solidarisch! Manche der Beschuldigten können ihre Bußgelder selbst tragen, manche nicht. Wenn ihr könnt, beteiligt euch bitte an den Bußgeldern in diesen und anderen Verfahren rund um Kohle erSetzen! 2017!
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