Umgang mit Personalien

In den Überlegungen über den Umgang mit Personalien während einer Aktion Zivilen Ungehorsams gibt es viele verschiedene Perspektiven, Argumente und Ansichten. Anders, als ihr es vielleicht von anderen Aktionen kennt, haben wir uns entschieden, euch keine Empfehlung für einen bestimmten Umgang (Personalienveweigerung, Personalienangabe oder einen Mittelweg) zu geben. Wir wissen, dass es gute Gründe für jeden Weg gibt.

Damit ihr selbstbestimmt eine gute Entscheidung für euch treffen könnt, haben wir hier Pro- und Kontraargumente gesammelt. Bitte lest sie euch gut durch und besprecht sie vor der Aktion mit eurer Bezugsgruppe.

Jede Entscheidung, die ihr trefft, ist in Ordnung und wird ihren Raum in unserer gemeinsamen Aktion finden: Sowohl in der Aktionsgruppe als auch in der Orgagruppe von Kohle erSetzen! gibt es Menschen, die im Falle einer Personalienkontrolle ihre Personalien angeben, genauso wie Menschen, die die Angabe ihrer Personalien verweigern. In eurer Entscheidung könnt ihr euch also darauf verlassen, dass ihr damit nicht alleine seid.

Falls ihr Fragen habt, wendet euch gerne an das Legal Team!

Personalienverweigerung: Pro

  • Geringeres Risiko von einer anschließenden Strafverfolgung und Unterlassungserklärungen:
    • Nach der Aktion ist die Aktion vorbei und ihr habt weniger wahrscheinlich noch mitunter jahrelang mit einem Strafverfahren zu tun.
    • Verurteilungen (und auch Strafbefehle) können sehr teuer werden.
    • Ab der zweiten Verurteilung zu einer Straftat (nicht Ordnungswidrigkeit!) in gleicher Sache (also mit dem gleichen Vorwurf) oder bei einer Straftats-Verurteilung, die höher als 90 Tagessätze ausfällt, gibt es einen Eintrag ins erweiterte Führungszeugnis. Dadurch seid ihr vorbestraft. Das kann bei manchen Berufen, Auslandsstipendien etc. zu einem Problem werden.
    • Zu viele Verurteilungen  können  nach anfänglichen Geldstrafen irgendwann zu Gefängnisstrafen führen.
    • Wenn ihr minderjährig seid, kann es je nach Familiensituation bei einem Brief von Polizei oder Staatsanwaltschaft zu starken Erziehungsmaßnahmen eurer Erziehungsberechtigten kommen.
  • Wenn viele mitmachen, können Einzelne effektiver geschützt werden (wie bei Ende Gelände):
    • Die Strategie funktioniert besonders gut, wenn viele sie anwenden.
    • Ziel ist es, das Polizeisystem zu überfordern. Die Kapazitäten, Menschen in der Gefangenensammelstelle festzuhalten und erkennungsdienstlich zu behandeln (Fotos+Fingerabdrücke), sind begrenzt.
    • Dies bietet z.B. Menschen ohne Papiere und/oder deutschem Pass und Menschen, die auf Bewährung/vorbestraft sind, Schutz.
  • Wenn die Polizei nicht weiß, wer ihr seid, ist es unwahrscheinlicher, dass man auf irgendwelchen Gefährder*innen-Listen landet.
  • Durch die Personalienangabe kann es irgendwann zu so vielen Repressionen kommen, dass es euch stark erschwert wird, aktivistisch unterwegs zu sein, beispielsweise weil ihr Unterlassungserklärungen unterzeichnet habt oder eine Gefängnisstrafe absitzen müsst. Personalienverweigerung ist ein Versuch, dem entgegenzuwirken.
  • Die Handlungen von Staat, Polizei und Justiz kann mensch als nicht legitim ansehen, den Protest dagegen aber schon. Durch Personalienverweigerung setzt ihr ein Zeichen, dass ihr die Strafverfolgung nicht unterstützen wollt.

Personalienverweigerung: Kontra

  • Erkennungsdienstliche Behandlung ist wahrscheinlicher
    • Ihr bekommt eine Datei bei der Polizei samt Bild, Fingerabdrücke und besonderer Merkmale wie Tattoos.
    • Wenn eure Identität bei zukünftigen Aktionen (v.a. im gleichen Bundesland) zusammen mit erkennungsdienstlichen (ED-) Daten erfasst wird, kann es zu einer nachträglichen Identifizierung und Strafverfolung kommen. Bei der nachträglichen Identifizierung sind zusätzliche Repressionen möglich, wie Bußgelder für die Verweigerung bis zu maximal 1.000€.
    • Ihr solltet euch also bei der Entscheidung für Personalienverweigerung bewusst sein, dass ihr euch, ab dem Zeitpunkt, zu dem ihr ED-behandelt worden seid, nicht mehr so einfach für Personalienangabe entscheiden könnt.
  • Personalienverweigerung kann von der Polizei als weniger kooperativ wahrgenommen werden, was zu mehr Polizeigewalt führen kann.
  • Ingewahrsamnahme ist wahrscheinlicher:
    • Ihr könnt bis zu 48 Stunden (bis 24 Uhr des auf eure Festnahme folgenden Tages) in Gewahrsam genommen werden.
    • Nach einer richterlichen Entscheidung kann es auch dazu kommen, dass ihr bis zu 7 Tage in Gewahrsam bleiben müsst. Das sollte aber nur passieren, wenn ihr das Personalienfeststellungsverfahren behindert (z.B. eure Fingerabdrücke unkenntlich macht).
    • Im Ausnahmefall ist es auch möglich, dass ein Gericht den Straftatsvorwurf als schwerwiegend genug ansieht (Personalienverweigerung als Indiz für Fluchtgefahr), dass ihr in U-Haft kommt. (Falls es dazu kommt, könnt ihr aber immer noch die Personalien angeben, um nicht in U-Haft zu kommen.)
    • In Gewahrsam ist es wahrscheinlich, dass ihr durchsucht werdet und euch eventuell vor den Polizeibeamt*innen ausziehen müsst. Dies ist zumeist rechtswidrig, aber häufig schwer zu verhindern.
    • Gewahrsam ist keine tolle Erfahrung und kann währenddessen und im Nachhinein psychisch belastend sein.
  • Klagen gegen rechtswidrige Polizeimaßnahmen/-gewalt sind praktisch nicht möglich, weil es dazu eine Offenlegung der Identität benötigt.
  • Je nach öffentlicher Situation kann Personalienverweigerung allgemeingesellschaftlich die Legitimation der Aktion verringern.
  • Der Schutz der Masse ist bei Kohle erSetzen! geringer, als bei z.B. Ende Gelände, da wir weniger Menschen sind. Außerdem hat die Polizei in NRW deutlich aufgerüstet, wodurch die Polizei nicht mehr so schnell überfordert ist bei Gewahrsamskapazitäten und erkennungsdienstlichen Maßnahmen.

Wenn ihr euch dafür entscheidet, die Personalien zu verweigern, gibt es hier noch einige wertvolle Tipps:

  • Achtet darauf, dass ihr keine Gegenstände mitnehmt, der euch identifizierbar machen. Dazu zählen nicht nur Ausweispapiere, sondern auch Tickets, Versichertenkarte, Bankkarten, Portemonnaie, Handy, Terminkalender, Notizbücher, … einfach jegliche Gegenstände, die mit euren Adressen oder Namen versehen sind.
  • Bereitet euch auf Polizeikontrollen auf dem Weg ins Camp und zurück vor. Die Polizei kontrolliert zunehmend schon bei der An- und Abreise. Findet als Bezugsgruppe gemeinsam einfallsreiche Wege, die das Risiko zu verringern, schon vorab Personalien angeben zu müssen. Wenn es euch möglich ist, lasst die Ausweispapiere zu hause und lernt eure Ausweisnummer für den Fall der Fälle auswendig.
  • Es ist auch möglich, einfach falsche Personalien anzugeben, das gibt aber wahrscheinlich ein höheres Bußgeld, wenn ihr identifiziert werdet.
  • Es gibt an jedem Punkt in der Aktion (und danach) die Möglichkeit, eure Personalien doch noch anzugeben, um z.B. aus der Gesa rauszukommen. Und das ist vollkommen okay! Achtet auf euch und schaut, bis wohin ihr gehen könnt.

Personalienangabe: Pro

  • Klassische Tradition des Zivilen Ungehorsams: Ihr steht mit eurem Namen öffentlich für begrenzten, bewussten Regelübertritt und zeigt, dass ihr davon überzeugt seid, das Richtige zu tun.
  • Ihr könnt mögliche Gerichtsprozesse als weitere Bühne für politischen Protest nutzen
    • Vor Gericht noch einmal das Thema der Aktion in den Mittelpunkt zu rücken und die Menschen im Gericht damit zu konfrontieren, kann ein sehr selbstermächtigendes Gefühl sein
    • Gegebenenfalls kann ein Gerichtsverfahren sogar zur Erreichung von inhaltlichen Teilzielen führen (Verfassungsbeschwerden am Ende des Klagewegs, Klimakrise als rechtfertigenden Notstand anerkennen lassen o.Ä.)
    • Ein Gerichtsverfahren ist eine weitere Möglichkeit, Pressearbeit zu dem Thema zu machen
  • Wenn ihr für diese offene Tat bestraft werden solltet, wird nur deutlicher, wie absurd das Rechtssystem ist: Der Bedarf eines Systemwandels wird deutlicher.
  • Es ist einfacher, anderen Menschen offen von der Aktion zu erzählen
    • Dadurch wird anderen Menschen ein persönlicher Bezug zur Bewegung ermöglicht, und sie werden dann vielleicht auch Teil davon.
  • Ingewahrsamnahme ist unwahrscheinlicher, und wenn ihr trotzdem in Gewahrsam kommt, werdet ihr wahrscheinlich schneller freigelassen.
  • Personalienangabe und Kommunikation mit der Polizei kann die Situation deeskalieren, Polizeigewalt ist entsprechend unwahrscheinlicher.
  • Wenn ihr minderjährig seid, muss die Polizei euch euren Erziehungsberechtigten oder dem Jugendamt übergeben und darf euch nicht in Polizeigewahrsam behalten.

Personalienangabe: Kontra

  • Rechtliche Konsequenzen:
    • Gerichtsprozesse, Strafbefehle und Bußgelder sind wahrscheinlicher.
    • Das kann sehr teuer werden.
    • Ab der zweiten Verurteilung zu einer Straftat (nicht Ordnungswidrigkeit!) in gleicher Sache oder bei einer Straftats-Verurteilung, die höher als 90 Tagessätze ausfällt, gibt es einen Eintrag ins erweiterte Führungszeugnis. Dadurch seit ihr vorbestraft. Das kann bei manchen Berufen oder z.B. Auslandsstipendien zu einem Problem werden.
    • Zu viele Verurteilungen können nach anfänglichen Geldstrafen irgendwann zu Gefängnisstrafen führen.
    • Wenn ihr minderjährig seid, kann es je nach Familiensituation bei einem Brief von Polizei oder Staatsanwaltschaft zu starken Erziehungsmaßnahmen eurer Erziehungsberechtigten kommen.
    • Es ist auch möglich, dass ihr von RWE eine Unterlassungserklärung bekommt. Falls du unterschreibst, kann es dann bei weiteren Aktionen zivilrechtlich verdammt teuer werden.
  • Mögliche Aufnahme in die Datei „Straftäter*innen links“ oder andere Listen.
  • Wenn ihr minderjährig seid, muss die Polizei euch euren Erziehungsberechtigten oder dem Jugendamt übergeben. Wenn eure Erziehungsberechtigten nicht hinter dem stehen, was ihr tut, kann dies eine unangenehme Erfahrung für euch werden.
  • Wenn ihr aktivistisch aktiv seid und euer Name bekannt ist, besteht immer das Risiko, dass Polizei und Verfassungsschutz denken, euch genauer beobachten zu müssen. Dadurch können auch Freund*innen und Bekannte unter Beobachtung geraten.
  • Es kann trotzdem zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung kommen, und dann sind eure Daten (Fotos+Fingerabdrücke) mit den Personalien verbunden. Personalienverweigerung im selben Bundesland ist dann also nicht mehr erfolgsversprechend.
  • Bei der Kommunikation mit Polizei können immer zu viele Infos preisgegeben werden. Das könnte negativ auf dich, andere oder die Struktur zurück fallen, wenn diese mit eurem Namen verknüpft sind. Passt also besonders auf, was ihr der Polizei sagt – am besten ist nichts sagen!
  • Wenn ihr Personalien angebt, besteht weniger Schutz für diejenigen, die Personalien verweigern. Es wird dann, je nach Größe der Aktionsgruppe, wahrscheinlicher, dass die Kapazitäten der Polizei zur erkennungsdienstlichen Behandlung aller Menschen, die verweigern ausreichen.

Wenn ihr euch dafür entscheidet, eure Personalien anzugeben, gibt es noch einige wertvolle Tipps: 

  • Auch wenn ihr eure Personalien angeben wollt, heißt das nicht, dass ihr euren Personalausweis sofort zücken müsst, wenn die Polizei euch danach fragt. Wenn ihr euch gut damit fühlt, lasst euch ruhig Zeit dabei, ihn rauszusuchen. Das verschafft euch und/oder euren Mitaktivist*innen mehr Zeit.
  • Ihr müsst auch nicht unbedingt euren Perso mit in die Aktion nehmen. Ihr könnt eure Personalien auch mündlich angeben. Folgende Angaben müsst ihr dabei geben: Alles was auf eurem Perso steht, die ungefähre Berufsbezeichnung und der Familienstand.
  • Ihr könnt euch alternativ auch eure Perso-Nummer einprägen oder an eine nicht so leicht zugängliche/sichtbare Stelle (am Körper) aufschreiben, um sie als Verifikation angeben zu können.
  • Sagt nicht mehr, als ihr müsst. Auch entlastende Aussagen sind gefährlich, zum Beispiel für andere verdächtige Personen. Wenn ihr etwas zur Sache sagen wollt, ist es schlauer, das später in Absprache mit anderen in Ruhe zu tun. Auf jede Frage der Polizei, auch und gerade die, die harmlos wirken oder im freundlichen Plauderton gestellt werden, kann notfalls geantwortet werden mit dem Satz „Ich verweigere die Aussage“.
  • Nichts unterschreiben! Wirklich gar nichts – auch nicht scheinbar „harmlose“ Dokumente wie die Bestätigung, dass die Polizei euch euren durchsuchten Rucksack wieder ausgehändigt hat.
  • Wenn ihr minderjährig seid, bietet es sich an, einen „Erziehungsberechtigten-Zettel“ (Vormundschaftsübertragung) mitzunehmen, damit euch auch jemand anders von der Polizeiwache abholen kann. Redet deswegen am besten mit dem Legal Team.

Wichtig ist, dass ihr eure Entscheidung so trefft, wie es für euch am besten ist. Jede Entscheidung ist legitim! 

Redet vor der Aktion ggf. nochmal mit dem Legal Team und seid euch bewusst, welche Rechte ihr habt und was die Polizei darf/nicht darf.