Soeben haben wir einen Offenen Brief an den Kohlekonzern LEAG veröffentlicht und zeitgleich an die Presse verschickt.
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Am vergangenen Samstag haben rund 350 Menschen die Zufahrten des LEAG-Braunkohlekraftwerks Lippendorf blockiert. Damit haben diese Klimaaktivist*innen deutlich gemacht, dass sie die weitere Anheizung des Klimawandels durch die Kohleverstromung nicht tolerieren. Stattdessen forderten sie die sofortige Einleitung des Kohleausstiegs ein. Daneben fanden verschiedene weitere Aktionen im Mitteldeutschen Braunkohlerevier statt.
Im Vorfeld hatten Sie zusammen mit der Tagebaubetreiberin MIBRAG keine Mühen gescheut, Ängste in der Region zu schüren und gewalttätige Eskalationen herbeizureden. Schützenhilfe leistete dabei gar ein CDU-Bundespolitiker, der in populistischer Manier meinte, vor „Ökoextremisten“ warnen zu müssen.
Während vonseiten der Aktivist*innen im Rahmen all dieser Aktionen wie angekündigt keinerlei Gewalt ausging, gefährden Sie und andere Kohlekonzerne Tag für Tag Menschenleben. Für den Tagebau Vereinigtes Schleenhain wird Menschen teilweise zum zweiten Mal ihr Lebensmittelpunkt durch Umsiedlung entrissen. Sie werden genötigt, ihre Häuser zu verlassen. Das stark gesundheitsschädliche Kraftwerk Lippendorf ist für über 2000 verlorene Lebensjahre aufgrund von Feinstaub-, Stickoxid- und Quecksilberemissionen verantwortlich – pro Jahr1. Vor allem aber heizt die Verstromung der Braunkohle als klimaschädlichstem Energieträger die in diesem Hitzesommer bereits deutlich spürbare Klimakrise weiter an. Jährlich werden laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk 21,5 Millionen Menschen2 nur aufgrund von Wetterextremen zumeist innerhalb ihres Landes vertrieben – Tendenz stark steigend. Die Weltgesundheitsorganisation geht schon heute von 250.000 Toten3 jährlich durch den Klimawandel aus, andere Forschungsergebnisse kommen auf bis zu fünf Millionen vorzeitig Gestorbene4. Diese indirekten, aber durch Ihr Geschäftsmodell fahrlässig verursachten Todesfälle sind Ihnen, der MIBRAG und den anderen Kohlekonzernen anzulasten. Die Landes- und Bundespolitik leistet Ihnen dabei Beihilfe. Sie alle tragen dazu bei, dass die Welt unumkehrbare Kipppunkte überschreitet und in eine verhängisvolle Klimakrise katapultiert wird.
Bevor Sie also beim Thema Gewalt mit dem Finger auf andere zeigen, müssen Sie sich der Gewalttaten Ihres Geschäftsmodells klar werden. Momentan begehen Sie tagtäglich Verrat an so grundlegenden Werten wie Mitgefühl und Verantwortungsbewusstsein. Ohne die Berücksichtigung dieser Werte können komplexe Gesellschaften nicht lange existieren.
Die Bereitschaft zur Gefährdung von Menschenleben durch die LEAG zeigte sich während des Aktionstags aber auch unmittelbar. Das Verhalten des von Ihnen beauftragten Sicherheitsdienstes stand in krassem Gegensatz zu den gewaltfreien und besonnenen Protesten. Die Security trat im Laufe des Aktionstags immer wieder aggressiv und einschüchternd auf. Deren Fahrzeuge begleiteten die Versammlungen und Mahnwachen, Insassen filmten rechtswidrig die Kohlegegner*innen. Beschäftigte des Sicherheitsdienstes verhinderten den ordentlichen Ablauf der vom Grundgesetz geschützten Versammlungen, indem sie Menschen festhielten und die Gruppen versuchten aufzuhalten.
Eine besonders bedrohliche Situation ergab sich um 15:42 Uhr in der Industriestraße, als sich eine Gruppe Aktivist*innen dem Tor der Gipsplattenfirma Siniat auf einer öffentlichen Straße näherte, um diese Ausweich-Zufahrt zu blockieren. Ein bereits zuvor durch aggressives Fahrverhalten aufgefallener Pick-Up der Security-Firma versuchte die Gruppe über die parallele Werk- und Oststraße zu überholen. An der Kreuzung unweit des Siniat-Tores kam das Auto mit hoher Geschwindigkeit auf die auf der Straße laufende Gruppe zugerast. Nur mit quietschenden Reifen konnte das Auto noch knapp um die Ecke biegen. Die Fahrerin nahm offensichtlich keine Rücksicht auf die laufenden Menschen neben und vor dem Auto. „Das war äußerst knapp!“, so einer der schockierten Aktivist*innen. „Wenn ich nicht zur Seite gesprungen wäre, hätte die Security mich umgefahren.“ Die Fahrerin des Wagens war im Anschluss nicht zu einem Gespräch über ihr rücksichtsloses Verhalten bereit.
Zum bedrohlichen Verhalten der Security und speziell zu der gefährlichen Situation in der Industriestraße erwarten wir eine Erklärung der LEAG sowie der Security und disziplinarische Maßnahmen. Ein privater Sicherheitsdienst, der autonom neben der Staatsgewalt agiert und dabei die Verletzung von Leib und Leben von Protestierenden in Kauf nimmt, ist nicht hinnehmbar. Es stellt sich die Frage: Wurden die Beschäftigten der LEAG sowie des Sicherheitsdienstes vor dem Einsatz ähnlich wie die Aktivist*innen in deeskalativem Verhalten geschult? Denn achtsames, respektvolles und gewaltfreies Verhalten, wie es von Ihnen und der MIBRAG angemahnt und von uns als zentraler Aspekt unseres Aktionskonsens gezeigt wurde, ist keine Einbahnstraße.
Wir fordern daher eine Erklärung von Ihnen, in der Sie sich klar von Gewalt und der Gefährdung von Menschenleben distanzieren.
Angesichts der zahlreichen Gefährdungen durch die Kohleverstromung muss dabei von Ihnen in Zusammenarbeit mit der MIBRAG auch ein Fahrplan für den Kohleausstieg im Mitteldeutschen Revier vorgelegt werden. Jedes weitere Beharren auf dem Status Quo gefährdet weitere Menschenleben.
In Erwartung ihrer baldigen Stellungnahme verbleiben wir mit freundlichen Grüßen
Aktionsgruppe Kohle erSetzen!
Hintergründe
Vertreibungen aufgrund von Wetterextremen im Klimawandel: www.unhcr.org/news/latest/2016/11/581f52dc4/frequently-asked-questions-climate-change-disaster-displacement.html
250.000 Tote durch den Klimawandel, WHO: www.who.int/en/news-room/fact-sheets/detail/climate-change-and-health
5 Mio. Tote im Zusammenhang mit dem Klimawandel: www.mic.com/articles/21419/climate-change-kills-5-million-people-every-year#.vMIGr50KG