Ziviler Ungehorsam – Was und warum?
Bedenkt bei all diesen Hintergrundtexten: Wir sind gut informiert, aber keine Expert_innen in all diesen Bereichen. Wenn Meinungen in die Texte eingeflossen sind, stellen diese natürlich nicht die Meinung aller dar, die an der Aktion teilnehmen oder diese mit vorbereiten. Sie sollen lediglich einige Informationen zusammenfassen, damit die Aktion auch inhaltlich gut fundiert ist.
Was ist Ziviler Ungehorsam?
Ziviler Ungehorsam ist die bewusste Überschreitung von Gesetzen, um damit Themen und Forderungen auf die politische Agenda zu setzen. Dabei steht das eigene Unrechtsbewusstsein und Gewissen im Vordergrund. Während die Grundregeln unserer Gesellschaft (z.B. die Menschen- bzw. Grundrechte) nicht infrage gestellt werden, wird die gezielte Überschreitung von minderen Gesetze als politischer Hebel genutzt. So kann absolut klar gemacht werden, dass das Thema für die jeweiligen Aktivist_innen so wichtig ist, dass es ihrer Meinung nach diesen Regelverstoß nicht nur legitimiert, sondern häufig sogar erfordert. Das gilt vor allem dann, wenn zuvor alle „normalen“/legalen politischen Maßnahmen keine Früchte getragen haben.
Viele tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen des letzten Jahrhunderts hätten ohne Zivilen Ungehorsam wohl nie stattgefunden: von der Unabhängigkeit Indiens vom britischen Imperium (z.B. Gandhi), der Durchsetzung von Bürgerrechten für die schwarze Bevölkerung in den USA (z.B. Rosa Parks) über die Emanzipation der Frauen (z.B. die britischen Suffragetten für das Wahlrecht) hin zum deutschen Atomausstieg (z.B. die Castorproteste). Gesellschaften sind träge. Große positive Veränderungen finden niemals ohne starken zivilgesellschaftlichen Druck statt!
Es gibt unterschiedliche Meinungen dazu, ob es ein zwingender Teil Zivilen Ungehorsams ist, persönlich dafür einzustehen. Manche vertreten die Position, dass das Akzeptieren der rechtlichen Konsequenzen – je nach Aktion von einem einfachen Ordnungswidrigkeiten-Kostenbescheid bis hin zu einer Haftstrafe – die Aktion erst recht glaubwürdig und politisch durchschlagend macht. Andere sind der Meinung, dass bei legitimen Handlungen jegliche Strafen eine gesellschaftliche Fehlkonstruktion und ohnehin häufig unverhältnismäßig sind und wehren sich aus diesem Grund gegen Strafverfolgung. Da muss jede Person wohl einen eigenen Weg mit finden.
Warum ist Ziviler Ungehorsam für den Kohleausstieg legitim?
Beim Kohleausstieg zeigen sich gleich mehrere Gründe, warum wir Zivilen Ungehorsam für legitim halten.
Einerseits ist da die Dringlichkeit: Angesichts der drohenden Klimakatastrophe haben wir absolut keine Zeit mehr zu verlieren, um unsere Treibhausgas-Emissionen drastisch zu senken. Dafür ist der Kohleausstieg natürlich nur eine von vielen Maßnahmen, aber in Deutschland die dringendste.
Andererseits haben wir das Problem, dass so langfristig wirkende Entscheidungen in einer Demokratie nicht gut gefällt werden können: die Personen, die am meisten vom Klimawandel betroffen sind und sein werden, haben heute keinen Einfluss auf die richtungsweisenden Entscheidungen. Im Sinne der Klimagerechtigkeit müssen wir die Stimme der Menschen im globalen Süden vertreten, die hier kein Wahlrecht haben. Das Gleiche gilt für die Generationengerechtigkeit und damit alle, die 2100 oder später in dieser Welt leben müssen: Die noch nicht Geborenen können ihre Stimme nicht erheben. Politiker_innen werden in unserem System immer am meisten auf die Entwicklungen in ihrer Legislaturperiode bedacht sein, Unternehmen schauen auf ihre Quartalsbilanz und maximal auf den Abschreibungszeitraum ihrer Investitionen. Dieser Kurzsichtigkeit müssen wir entgegentreten und die langfristige und globale Sicht greifbar machen.
Zusätzlich basiert ein guter Teil der „Wirtschaftsstärke“ Deutschlands auf treibhausgasintensiver Produktion. Gerade in der Energiewirtschaft sind aufgrund der langen Verflechtung als Staatskonzerne noch enge Kontakte zur Politik vorhanden. Es gibt also eine riesige Industrie-Lobby, die ihr ausbeuterisches Geschäftsmodell von einem durchgreifenden Klimaschutz gefährdet sieht. Wir müssen dem also als entschiedene und starke zivilgesellschaftliche Stimmen entgegensetzen!
Schließlich haben verschiedene Menschen über die letzten Jahrzehnte hinweg schon nahezu alle Mittel ausgeschöpft, diese Veränderungen anzustoßen. Demonstrationen, Studien, Politische Debatten, eigener Lebensstilwandel, neue Formen des achtsamen Zusammenlebens und vieles mehr. Diese Mittel sind alle wichtig und müssen weiter verfolgt werden. Aber diese Mittel allein haben bisher nicht ausgereicht: wir müssen also einen Schritt weiter gehen, hin zu massenhaftem Zivilem Ungehorsam.
In jedem Fall ist Ziviler Ungehorsam ein unübersehbares Zeichen: hier geht etwas gehörig schief – und wir sollten es in die Hand nehmen, es zu ändern! Gesellschaftliche Verhältnisse sind von Menschen geformt worden. Es ist an uns, die Welt nicht als gegeben hinzunehmen, sondern sie selbst aktiv zu gestalten, statt alle gesellschaftlichen Entwicklungen den „Entscheidungsträger_innen“, ihren Lobby-Kontakten und der trägen Bürokratie zu überlassen.
#BeTheRedLine
Kohle erSetzen!
Zum Weiterlesen
Thoreau (1849): Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat.
Gandhi: Non-violent resistance (Satyagraha).
King, Martin Luther (1963): Letter from a Birmingham Jail.
bpb (Bundeszentrale für politische Bildung) (2012): Ziviler Ungehorsam: Annäherung an einen umkämpften Begriff.